WELT teilt Grundgedanken der ZEIT

 Seit Montagabend kursiert auf Twitter ein Screenshot von einer WELT-Meldung. Zu sehen ist die Überschrift "Jella Haase teilt Grundgedanken der RAF", darunter ein Bild von ihr, versehen mit der Unterschrift "Schauspielerin Haase spricht sich dafür aus, Amazon und Google stärker zu besteuern." 


 Die verschiedenen Bubbles reagieren in den gewohnten Reflexen. Konservative sind entrüstet, schließlich ist die RAF in ihrem kollektiven Gedächtnis die größte Bedrohung in der Geschichte der Bundesrepublik und muss auch heute noch als Referenzpunkt für Terrorismus herhalten. Linke amüsierten sich darüber, dass man schon als linksterroristisch gilt, wenn man für die Besteuerung von Großkonzernen eintritt. Dabei offenbaren beide Reaktionen, dass sie den Artikel nicht gelesen haben.

Wenn man sich die Mühe macht und den Artikel der WELT liest, relativiert es sich sofort wieder. Die ganze Geschichte basiert auf einem Interview des Magazins ZEIT Verbrechen. Es wird angedeutet, dass "Kapitalismuskritik als Grundgedanke der RAF" die Formulierung von Haase ist. Sie setzt die Kapitalismuskritik in den Kontext der Umweltzerstörung und sagt ausdrücklich, dass die Gruppe kritisch gesehen werden müsse, da sie Menschen ermordet habe. Die RAF wird weder verharmlost noch wird von der WELT ein ideologisch motivierter Zusammenhang zwischen RAF und Kapitalismuskritik herbei fantasiert.

Dennoch ist die Aufbereitung nicht unproblematisch. Die Überschrift suggeriert eine Sympathie Haases zu der Organisation, was so eigentlich nicht zutrifft. Sie nimmt die RAF als Anlass zur Kapitalismuskritik und verurteilt sie dabei. Ihre vermeintlich eigene Formulierung ist da unglücklich und irreführend. Also hat die WELT doch wieder alles falsch gemacht?

Jein. Der Artikel basiert nicht auf dem Interview selbst, sondern auf einer Pressemitteilung, die von der ZEIT Verlagsgruppe gestern verschickt wurde. Sie hat die gleiche Überschrift und die Aufbereitung der Aussagen, also Paraphrasierung und Zitation, stimmen überein. Diese Mitteilung soll die neue Ausgabe der Zeitschreift "ZEIT Verbrechen" bewerben, die u.a. ein Interview mit Jella Haase darüber enthält, wie kriminell sie ist. Die Frage, bei denen die entsprechenden Aussagen anscheinend gefallen sind, war danach, welche Kriminelle sie bewundere.


Somit verlagert sich die Kritik auf die Zeit und der True-Crime-Industrie, zu der dieses Magazin gehört. Die Frage beschwört ein romantisches Bild von Kriminalität. Klar, es gibt schlechte Verbrechen, aber wer ist dein Robin Hood. Ein echter Erkenntnisgewinn entsteht durch ein solches Interview nicht. Es ist vielmehr ein Promi-Steckbrief und so ist auch die Pressemitteilung zu verstehen. Ein kurzer Ausschnitt für die Prominenten-Seite um die aktuelle Ausgabe zu bewerben. Die WELT muss sich vorwerfen lassen, dass sie das Clickbait der ZEIT unkritisch reproduziert hat. 

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